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Kreuze! Triff eine Unterscheidung!
Anne Gathmann, Katja Pudor
Stedefreund, Berlin, 2012

In der Ausstellungsreihe "Difference a bend" treffen KünstlerInnen von Stedefreund aufeinander, die unterschiedliche Arbeitsweisen haben oder deren Arbeiten konträr zueinander wirken. In der aktuellen Ausstellung stehen sich Katja Pudor und Anne Gathmann gegenüber. Arbeitet Pudor zumeist raumbezogen und eignet sich den Raum durch großformatige, temporäre Collagen an, sind die Installationen und Fotografien von Gathmann zurückgenommener. Sie greift weniger in den Raum ein, indem sie ihm etwas hinzufügt, sondern setzt durch gezielte Eingriffe,wie das Auffangen und Weiterleiten von Licht, den Blick auf das Vorhandene frei und bewirkt so minimale Wahrnehmungsverschiebungen. Sieht man Pudors Eingriffen die Bewegung an, aus der heraus sie direkt vor Ort im Raum entstehen, bleibt der langwierige Abwägungsprozess, der den Arbeiten Gathmanns vorausgeht, meist verborgen. Das führt dazu, dass die Arbeiten zwar präzise komponiert sind, aber dennoch eine Offenheit und Mehrschichtigkeit beinhalten.

Das Besondere bei Stedefreund ist, dass die Arbeiten erst für die jeweiligen Ausstellungen entstehen und dadurch nicht nur in Auseinandersetzung mit dem Ort, sondern auch konstellationsbezogen sind. Was passiert, wenn wie in diesem Fall zwei konträre Arbeitsweisen kombiniert - also miteinander gekreuzt - werden? Entsteht daraus eine spannungsgeladene Situation, in der die Unterschiede noch deutlicher zu Tage treten? Oder verlieren sich durch die Bezugnahme der Künstlerinnen aufeinander die Differenzen, weil die Gemeinsamkeiten stärker hervortreten?

Differenzen sind einerseits Ausdruck eines konfrontativen Aufeinandertreffen, eines Dissens wie Jacques Ranciere sagen würde, anderseits werden im Moment des Aufeinandertreffens Aushandlungsprozesse eröffnet. Erst in der Begegnung und dem Austausch über die ausein- andergehenden Positionen und Arbeitsweisen lassen sich Unterscheidungen bewusster treffen, treten die Differenzen klar hervor. Dies bringt die grundlegende Paradoxie von Differenzen im Speziellen und Grenzziehungen im Allgemeinen zu Tage: sie sind nicht nur Ausdruck von Abgrenzungen und Meinungsverschiedenheiten, sondern enthalten auch immer Momente des In-Beziehung-stehens und des Aufeinander-Beziehens. Es ist ein Prozess des Miteinanders, in dem es nicht um die Nivellierung der Unterschiede, sondern das Zulassen des Anderen geht - es wird nicht als Bedrohung, sondern als konstruktiver Gegenpart verstanden, vor dessen Hintergrund die eigene Arbeit an Kontur gewinnt.

Herausgekommen sind zwei Arbeiten, die den Raum auf ihre je eigene Weise einnehmen - und den Gedanken der Differenz unterschiedlich interpretieren. Pudor spannt quer durch den Raum ein Seil, das zusätzlich durch "Anker" im Raum vertäut ist. Diese raumgreifende und -vermessende Diagonale wirkt körperlich - weil es eine starke materielle Präsenz hat und den Betrachter in seinem Verhalten lenkt.

Wird hier eine starke Setzung vorgenommen, interessiert Gathmann eher die Relativität der Differenz. Zwar bedingen Setzungen Verschiebungen der Wahrnehmung, doch sind diese immer nur temporär - bis eine nächste Setzung die Parameter verschiebt oder sie mit weiteren Bedeutungsebenen überlagert. Differenzen sind somit nicht nur vom Betrachterstand- punkt abhängig, sondern auch dynamisch. Auf die Setzung folgt eine Kreuzung, folgt die Verschiebung, folgt eine erneute Unterscheidung, usw. usf.

Anna-Lena Wenzel
* freie Autorin, Kuratorin und Kunstvermittlerin